Dr. Böhms Praxis für Wanderweg-Heilkunde

Die Supersignaturitis

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Vorhergehendes Symptom: Multisignaturits
Nächstes Symptom: Polycompetencitis

Supersignaturitis

Deutsche Krankheitsbezeichnung: Übermäßige Weg-Sondermarkierung

Malerweg, Caspar-David-Friedrich-Weg, Terrainkurweg 16. Eindeutiger Wegweiser. Handwerklich solide ausgeführt. Nicht verkeimt und auch keine Graffiti drauf – hey Doc, wo ist hier das Problem?

Die Supersignaturitis ist etwas für den Feingeist unter den Wanderern. Supersignaturitis-Kritik ist etwas für Puristen, Stylisten, Heraldiker und Signographen. Das tradierte (heraldisch korrekte) Wegezeichen ist nun mal der oder der oder der .

Tja, wenn es denn nur unser guter alter Malerweg wäre. Aber was gibt es mittlerweile alles für Wanderweg-Sondermarkierungen ...

... und das alles ist nur eine klitzekleine Auswahl aus den Wegemarken, die es so geben dürfte ...

Symptomatik: Zunächst eine beginnende Supersignaturitis. In den an sich völlig klaren blauen Balkenweg dringen mit E3- und Malerwegsignatur bereits leicht verwirrende Supersignaturkeime ein. Noch nicht als pathologisch einzustufen:

Wegweiser bei Coswig (Sachsen)

Das Tückische ist, dass die Supersignaturen schleichend „die Macht übernehmen“:

Unterhalb des Gohrischsteines

Bitte genau hinsehen: Die eigentlichen Weg-Hauptmarkierungen sind der blaue Punkt und der rote Balken hinten auf dem Mast. Zur Orientierung völlig ausreichend. Nur dummerweise hat sich der Weg hier eine Supersignaturitis weggeholt. Und da musste dann eben der Plaste-Wegweiserpfeil drunter. Da hat es nun der arme rote Balken nicht draufgeschafft. Keine Chance gegen die signographischen Hochleistungssportler Eisvogel und Ampelmännchen. Und wenn der rote Balken da zehnmal die berühmte Lausitzer Schlange markiert, die da schon immer langgeht. Du guckst dir das als Wanderer an und empfängst unterbewusst die Botschaft, den roten Balken besser nicht weiterzuverfolgen. Wenn der es nichtmal auf den Wegweiser geschafft hat ... nee, wer weiß, ob das ein „richtiger Wanderweg“ ist ... eher nicht.

Für so etwas ist unser Wege-Immunsystem einfach nicht gemacht. Ab einer gewissen Zahl von Wegemarken kommt es unweigerlich zum Kollaps. Und das darunterliegende Altwegenetz „geht unter“.

Hier ein in höchster Blüte stehendes, voll ausgebrochenes Krankheitsbild:

Unterhalb des Gohrischsteines

„Bitte mal abzählen.“ pflegt man da die mitvisitierende Erstsemestler anzuweisen. „Äh, Herr Chefarzt, wir haben da ... Malerweg ... Cunnersdorfer Steig ... gelben Balken ... Gohrischer Terrrainkurweg ... Maulwurf-Wanderweg ... und blauen L-Lehrpfad. Oder meinten Herr Professor die Anzahl der Schilder?“ „Egal was Sie da abzählen, junger Mann – 6 Wegebezeichnungen, 5 Zeichen, 7 Schilder – es ist immer zu viel. Für nichts, als eine simple Wegkreuzung.“

Am 09.10.2018 erhielt ich von Roberto Strauch, Guben das folgende schulreife Präparat einer Supersignaturitis:

Egloffstein, Fränkische Schweiz. Bild: Roberto Strauch, Guben

Fundort Egloffstein, Fränkische Schweiz. Frankenweg und Fünf-Seidla-Steig überwuchern (supersignaturitisch) fünf darunterliegende Wegkennnzeichnungen (die ihrerseits widerum bereits eine bilderbuchreife Multisignaturitis aussymptomieret haben): Wegverwirrung durch Überinformation. Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Strauch für die Zusendung.


Zusammenfassung: Bei der Supersignaturitis handelt es sich um ein Übermaß von atypischen Wanderwege-Sondermarkierungen. Auch hier entartet die Markierung, ähnlich, wie bei der Multisignaturitis, vom Leitsystem zum Verwirrsystem.


Diagnostik. Zunächst die militärisch knappe Untersuchungsvorschrift für den Wegemarken-Sanitäts-Unterfeldwebel (WmSanUfw).

Alles was nicht ungefähr RAL 5010 Enzianblau, RAL 3000 Feuerrot, RAL 6018 Gelbgrün oder RAL 1004 Goldgelb ist und auch den 5 Formen

Wegemarken

nicht entspricht, ist verdächtig und kommt grundsätzlich erst einmal unter Quarantäne! (Anmerkung: Dabei sind wir den Thüringen/Harz/Taunus-Markierungen Dreieck, Viereck und Andreaskreuz für sächsische Verhältnisse schon verdammt human.)

Leute, macht nicht so einen Mist und bildet euch ein, dass ihr da die ersten seid, die auf den Gedanken kämen, man müsse sich irgendwelche Sonderkringel ausdenken und die an die Bäume peppen. A) um das Wegenetz zu retten oder B) damit ihr euch vielleicht verewigt. Das mit dem Verewigen klappt nur, wenn der Weg „anwächst“, dazu unten mehr. Oft bleiben nach ein paar Jahren nur ein paar traurige Plastereste an den Bäumen und das wars dann.

Aber auch zu A), dem Wegenetz retten, hier aber mal die ganz klare Aussage: Die Supersignaturitis ist nicht die Rettung für Wanderwege, sondern die Spätfolge einer unbehandelten, nicht ausgeheilten Multisignaturitis

Zweifelsohne haben Premium- und Prädikatswege durchaus ihre Berechtigung. Das Tragische ist aber, dass die mittlerweise sehr vielen supersignaturierten Sonderwege die „ganz normalen Wanderwege“ überdecken. Aber diese sind doch der zu bewahrende Schatz und das eigentliche Rückgrat einer Wanderlandschaft!

Anmerkung. Die Untersuchungsvorschrift für den WmSanUfw ist nur eine erste Näherung. Sozusagen für den Fronteinsatz. Wegemarkierung ist im Kern Signographie. Letztendlich gibt es keine so klaren Regeln, dann gibt es noch die Regel, dass derjenige, der die Regeln kennt, die Regeln brechen darf. Klingt putzig, funktioniert aber schon über 1000 Jahre – bei den Rittern. Heißt Heraldik. Guckt euch einmal die schönen alten Wappenschilde an. Und dann die putzigen Wegemarkierungsnümmerchen oder -wellen in der Liste der Wanderwege in Deutschland in der Wikipedia.

Wie einladend ist denn so ein trübviolettes „Tk 9“, schräg auf das „E3“, geklebt? Das klappt doch was nicht.

Man weiß nicht so genau, warum das irgendwie blöd aussieht. Nur vielleicht soviel: Zahlen und Buchstaben haben in Wappen und Logos grundsätzlich nichts zu suchen. Und zu bunt sollte es auch nicht zugehen. Bunt – das ist die Farbe der Narren.


Abgrenzung zur Multisignaturitis: Supersignaturitis nicht mit Multisignaturitis verwechseln, die ebenso, wie die Supersignaturitis mit einem Übermaß an Wege-Kennzeichnungen aufwartet. Der Unterschied liegt in der Rangordnungshöhe der Markierungen. In der Supersignaturitis überdecken atypische, rangordnungshöhere Wegemarken das tradierte Wegesystem. Bei der Multisignaturitis treten rangordnungsgleiche Wegemarken miteinander in Konkurrenz.

Abgrenzung zur Polycompetencitis: Eine nahe Verwandtschaft besteht außerdem mit der Polycompetencitis, die ebenso, wie Super- und Multisignaturitis mit zu vielen Wege-Kennzeichnungen Verwirrung zu stiften pflegt. Der Unterschied liegt in der der Anzahl der Markierungs-Antriebskräfte. Bei den Signaturitien handelt es sich um monokausale Symptomkomplexe, die in der Regel nur die typischen Wegemarken der Wanderwege ausprägen. Bei der Polycomptencitis hingegen treffen mehrere Beschilderungsantriebe (Postelsche Terminologie: „polykausal“) aufeinander, also z. B. Wegemarken, Radwegemarkierungen, Lehrpfade, Trimm-Dich-Pfade, Barfußpfade, Klettersteige, Erlebnisareal-Wege, Reitweg-Ausweisungen, Hotelleitsysteme etc. pp. ppp. pppp.

Therapie: Wie bei der Multisignaturitis gilt: Vorbeugen ist besser, als Heilen. Frühsymptome ernst nehmen und ggf. im Keim ersticken. Ein gutes Prophylaktikum ist auch hier das Unterlassen jeglicher Begeisterung, wenn ein sog. Expertengremium vorschlägt, dass man etwa „ein Wandergebiet sei“ und deshalb „einen Weg mit einer Sondermarkierung“ versehen wölle. Und Fördermittel hat er auch schon. Äußerste Vorsicht: Solche Vorschläge sind eine typische Einstichstelle für eine Supersignaturitis-Infektion! Man kriegt das dann nicht mehr so schnell weg.

Gegen einen einzelnen isolierten oder herausragenden Premium- oder Themenweg ist nichts einzuwenden. Die Dosis macht das Gift. Supersignaturitis wird erst in der Masse der Extrawege schädlich.


Nachtrag. Wanderwege sind Lebewesen.

Das mit dem Verewigen klappt nur, wenn der Weg gut anwächst:

Schlecht gemachte Wegemarken wachsen eher schlecht an:

Kronenweg Moritzburg 2008

Und wenn man die an 4 Ecken an einen Baum nagelt, dann ...

Kronenweg Moritzburg 2012

Nein, das waren nicht die bösen Vandalen, die da Himmelfahrt besoffen mit der Bierbüchse draufgehauen haben.

Das war jemand anders. Wir Menschen sind es gewohnt, Holz „im Baumarkt“ zu denken. Totes Holz. Vielleicht kennen wir auch noch das „Totholz“ von diesen Schildern im Naturschutzgebiet, und da steht dann immer, dass dieses Totholz kein Totholz wäre, weil da ja noch so vielen kleinen Käferchen drinne leben würden.

Woran wir uns aber nur ganz selten erinnern: Holz, das ist vor allem eines: Lebendige Bäume. Und die wachsen natürlich. Ach, was kann denn so ein kleines totes Schild schon gegen die Kraft eines Baumes ausrichten? Es war der lebendige Baum, der einfach nur gewachsen ist. Und dabei hat er das mit 4 Nägeln angenagelte Schild – einfach mitten entzwei gerissen.

Das sind eben die Selbstheilungskräfte der Natur.

Nächstes Symptom: Polycompetencitis


Angelegt 18.06.2012
Durchsicht 18.03.2013, 04.02.2014
Wegweiser Daube, 20.02.2014
Wegweiser Egloffstein, Roberto Strauch, 09.10.2018

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