Was war das für ein Hochwasser?
Fazit
Die Kirnitzsch stand bei uns am 07.08.2010 20:30 Uhr 2,60 hoch auf der Kirnitzschweise, das sind 3,60 über Mittelwasser oder Pegelstand 4,10 m. Sie war etwa 45 m breit, 4 m tief und floss mit etwa 3 m/s ab. Die Landestalsperrenverwaltung hat in ihrer Ereignisanalyse am Pegel Kirnitzschtal einen Wasserabfluss 96 m³/s angegeben und für den Pegelstand Pegel Kirnitzschtal 3,18 m (nachträglich eingemessen) mitgeteilt.
Die Elbe führt etwa 300 m³/s normalen Wasserabfluss, die Kirnitzsch etwa 1,5 m³/s. Bei dem schlimmen Elbehochwasser am 16./17.08.2002 hatten wir (Quelle: http://undine.bafg.de/servlet/is/12106/) 4500 m³ pro Sekunde in der Elbe. Das ist etwa der 15fache Normalabfluss.
Damit führte die Kirnitzsch etwa ein Drittel soviel Wasser wie die Elbe bei Mittelwasser. Tatsächlich war das Wasser bei uns auf der Kirnitzschwiese 2,60 m tief, da hätte locker ein Elbdampfer fahren können. Die Wassermenge war aber zugleich etwa das Siebzigfache des Normalabflusses. Das Kirnitzschtal ist also viel hochwasserhärter, als das Elbtal.
Schlimme Naturkatastrophe?
Man vergibt heutzutage derartige Superlative recht leichtfertig und denkt, dass es so schlimme Hochwasser in der Vergangenheit weniger gab. Ein wenig Recherche fördert allerdings zu Tage, dass Hochwässer in der Sächsischen Schweiz doch zumindest regelmäßig wiederkehrende Ereignisse sind:
- 26.06.1586: „Ein groß Ungewitter“ richtete an der Plappermühle im Tal der Potetzschke vermutlich großen Schaden an. (MBII, S. 130). „Die sogenannte Wasserflut vom Pfaffenberg (Pfaffenstein) zerstörte in Königstein zehn Häuser.“ (Wikipedia).
- 06.08.1629: Die Kirnitzsch riss alle Mahlmühlen und Sägewerke mit Ausnahme der Mittelndorfer Mühle weg. Die drei Hauptschützen wurden zertrümmert.
- 1675: „Die Brausensteiner Mühle soll im Jahre 1675 durch eine Wasserflut ,mit Grund und Boden‘ weggeführt worden sein.“ (MBII, S. 103)
- 23.06.1715: Bei einem schweren Unwetter sind die Wiesen der Niedermühle Struppen „gantz ersäufet und mit Steinen überschüttet ... auch die Rad Stube von Grund aus weg gerissen, und die ao. 1711 und 1712 gantz neu erbaute Mühle totaliter ruiniret.“ (MBII, S. 141)
- 22.06.1740: Durch die Kirnitzsch erlitt Bad Schandau schwere Schäden.
- 01.09.1822: Großer Schaden durch die Wassermassen eines Wolkenbruches, der in den Vormittagsstunden niederging. Rölligmühle Kleingießhübel: [Die Schadensbeseitigung] „kostete den Müller mehrere hundert Taler.“ Liethenmühle: „Die sich durch das Tal wälzenden Wassermassen sprengten den Damm des Mühlteiches und das Wehr und zerstörten Scheunen und Schuppen.“ (MBII, S. 54, 60)
- 29./30.07.1897: Zwanzig Tage andauernder Regen. Kirnitzschtalstraße überflutet. Rölligmühle Kleingießhübel (MBII, S. 56): Großer Schaden. „Das Wasser stand damals bis an die Fenster des unteren Stockwerkes ... ein Mann ertrank in den Fluten und wurde fortgeschwemmt. Seine Leiche fand man später bei Söbrigen in der Elbe.“ Zeibigmühle Hütten (S. 118): Großer Schaden. Auch hier forderte die Flut ein Menschenleben. Mühle Niedervogelgesang (S. 145): Größere Verwüstungen.
- 06./07.07.1899: Ein Wolkenbruch richtete an den Mühlen im Schönaer Hirschgrund größeren Schden an. (MBII, S. 44)
- 1904: Schlimmes Hochwasser das den Lichtenhainer Wasserfall herunterflutete. Kein Kirnitzschhochwasser. Quelle: Rainer König, Inhaber des Gasthofes Lichtenhainer Wasserfall.
- 07.07.1906: „der ... über die Gegend um Königstein niedergegangene Wolkenbruch mit ... großen an der [Rahm-]Mühle angerichteten Schäden“, „größere Verwüstungen, so dass die Mühle in Niedervogelgesang spätestens danach nicht mehr in Betrieb war und verfiel.“ (MBII, S. 139, 145)
- 25.07.1912: „Zweites“ schlimmes Hochwasser das den Lichtenhainer Wasserfall herunterflutete. Nach Gewitterguss. Kein Kirnitzschhochwasser. Quelle: Bilder im Besitz von Rainer König, Inhaber des Gasthofes Lichtenhainer Wasserfall (Hängen im Büro).
- 16.04.1917: Wird in der Ereignisanalyse der Landestalsperrenverwaltung als 2010 höchstes bekanntes Hochwasser (HHQ) genannt, Pegel Kirnitzschtal 1,18 m, damit 2,00 m unter 2010er Wasserscheitel.
- 08./09.07.1927: Das schlimme Hochwasser im Erzgebirge. Kirnitzschtalstraße überflutet.
- 23.07.1957: Das schlimme Müglitzhochwasser. Teilweise Zerstörung des Wehres der Obermühle Cunnersdorf (MBII, S. 74). Auswirkungen im Kirnitzschtal wahrscheinlich.
- 05./06.07.1958: Wasserspiegel erreicht fast das Wetterschutzdach an der Bootsstation Obere Schleuse.
- 1974: Kirnitzschtalstraße in Höhe Kirnitzschtalstr. 69, Bad Schandau etwa 0,5 m überflutet. Quelle: Mit dem Jahr datierte Fotografie im Besitz des Hausbesitzers.
- 20.07.1981: Kähne der Oberen Schleuse über das Geländer gedrückt. „Vb-Wetterlage“, „Naturkatastrophe im Bielatal“ (CE, S.397). Wasser stand 20 cm über den Fensterbänken der Rindenhütte Obere Schleuse.
- 20.07.1981: Unwetter im Kirnitzschtal Kähne der Oberen Schleuse über das Geländer gedrückt. „Vb-Wetterlage“, „Naturkatastrophe im Bielatal“ (CE, S.397). Wasser stand 20 cm über den Fensterbänken der Rindenhütte Obere Schleuse.
- 14.01.2011: Ein eher bescheidenes Winterhochwasser der Kirnitzsch.
- 03.06.2013: Kirnitzschhochwasser unmittelbar vor dem Elbehochwasser.
- 31.05.2016: Drei Tage mit Unwetter im Kirnitzschtal.
- 17.07.2021: Das 2021er Hochwasser. Kirnitzsch, Ottendorfer Wasser, Krippenbach. Im Hirschgrund ist die gesamte Straße weggespült worden.
- 25.12.2023: Das 2023er Hochwasser. Eher glimpflich.
Quellen:
Cedra, Helmut: Aus Tradition geschöpft. 450 Jahre Papierherstellung in Königstein/Sachsen. Gohrisch 2010. (Cedra = CE)
Schober, Manfred: Die Mühlen in der Sächsischen Schweiz. Rechtselbisches Gebiet. Dresden: Rölke 2009. (Mühlenbuch I = MBI)
Schober, Manfred: Die Mühlen in der Sächsischen Schweiz. Linkselbisches Gebiet. Dresden: Rölke 2011. (Mühlenbuch II = MBII)
http://de.wikipedia.org/wiki/Hochwasser_und_Naturkatastrophen_in_Sachsen,
Insgesamt war das Hochwasser vielleicht ein HQ50, also ein Hochwasser, mit dem ungefähr alle 50 Jahre zu rechnen ist.
Das schlimme Elbehochwasser vom 16./17.08.2002 wird von den Hydrologen als HQ200 gewertet. Damals sind über dem Erzgebirge 400 mm Niederschlag gefallen. Hier waren es nur etwa 150 mm. Wir sollten daran denken, dass auch im Einzugsgebiet der Kirnitzsch einmal 400 mm Regen niedergehen können. Dann würde das Wasser vielleicht noch ein oder zwei Meter höher stehen. Das wäre dann eine Naturkatastrophe. Statistisch gesehen sind solche Ereignisse aber sehr sehr selten.
Kann man warnen oder vorbeugen?
Sehr zu bedenken gibt dieser Aufsatz von Jan Hänel im SSI-Heft 2005: Urwald contra Hochwasserschutz. Bedenken um Gewässerverwilderung im oberen Kirnitzschtal
Diese Aufsatz sagt die Ereignisse 2010 mit einer bemerkenswerten Klarheit voraus, sogar die auf Bruchgefahr des Holzrechens Aspenblos wird eingegangen. Dieser Aufsatz wurde sicherlich auch von der Nationalparkverwaltung gelesen. Hier bleiben Fragen offen.
Beobachtete Wasserstände 2010
Etwa 400 m oberhalb der Ostrauer Brücke beobachtet (eigene Messung):
- Sa 07.08.2010 20.10 Uhr: 2,60 m über Kirnitzschwiese = 3,60 über Normal
- So 08.08.2010 05:00 Uhr: 2,10 m über Kirnitzschwiese = 3,10 über Normal
- So 08.08.2010 12:00 Uhr: 1,70 m über Kirnitzschwiese = 2,70 über Normal
- So 08.08.2010 19:00 Uhr: 0,65 m über Kirnitzschwiese = 1,65 über Normal
- Mo 09.08.2010 07:00 Uhr: 0,15 m über Kirnitzschwiese = 1,15 über Normal
- Mo 09.08.2010 19:00 Uhr: 0,05 m über Kirnitzschwiese = 1,05 über Normal
- Di 10.08.2010 07:00 Uhr: 0,10 m unter Kirnitzschwiese = 0,90 über Normal
- Mi 11.08.2010 07:00 Uhr: 0,40 m unter Kirnitzschwiese = 0,60 über Normal
- Mo 16.08.2010 07:00 Uhr: 0,50 m über Kirnitzschwiese = 1,50 über Normal
- Mo 16.08.2010 11:00 Uhr: 0,80 m über Kirnitzschwiese = 1,80 über Normal
- Mi 29.09.2010 11:00 Uhr: 0,40 m über Kirnitzschwiese = 1,40 über Normal
Pegel Kirnitzsch (am Mittelhauptschutz) des Landesamtes für Umwelt und Geologie:
Quelle: http://www.umwelt.sachsen.de/de/wu/umwelt/lfug/lfug-internet/857.asp?url=/de/wu/umwelt/lfug/lfug-internet/hwz/inhalt_re_frame.html
Schandensbilanz
Begehung am 08.08.2010 von Bad Schandau bis zum Abzweig „Zum Thorwald“:
Bad Schandau: Königsteiner Straße zerstört.
Fußweg Bad Schandau am Jugendclub: mehrere Hundert Meter zerstört
Niederweg: auf ca. 100 Meter metertief ausgespült
Luisenbrücke: Nordauffahrt weggespült.
Steg Niederweg 23: zerstört
Steg Pegel Dorfbachklamm: Zerstört
Ostrauer Mühle: Viel Schlamm und Zerstörungen
Mittelndorfer Mühle: Allgemeine Verwüstung der wunderschön gepflegten Außenanlagen
Steg bei Mittelndorfer Mühle: komplett weg
Steinbruchwegbrücke oberhalb Forsthaus: Brücke komplett wegerissen
Brücke Nasser Grund: sieht ganz gut aus, Ausspülungen auf Parkplatz
Schwemmkegel Kroatenschlucht auf Straße: ca. 20 m, überfahrbar, rasch weggebaggert
Nähe Beuthenfall: Bahnstrommasten etwa 64-69, 48-53, 31-36 beschädigt/Fundamente unterspült
Schwemmkegel Beuthelfall: ca. 50 m, überfahrbar, rasch weggebaggert
Haidemühle: Gebäude eingestürzt
An Lichtenhainer Wasserfall: Bahnstrommast 17 stark beschädigt
Lichtenhainer Wasserfall: Wasser stand in Gasthaus. Etwa 20 cm hoch?
Untere Brücke Kuhstallauffahrt: Auffahrten weggespült
Lichtenhainer Mühle: nicht betroffen, steht auf Anhöhe
Schleiferei/Zufahrt Kuhstall: Weg beschädigt
Unterhalb Felsenmühle: zwei große Löcher in Straße, umfahrbar
Gegenüber Felsenmühle: Stützmauer unter Flößersteig zerstört
An Felsenmühle: Riesenloch über die ganze Straße
In der Felsenmühle selbst hat das Wasser wohl nicht gestanden
Buschmühle: Brücke komplett wegerissen, Nebengebäude stark beschädigt, das Gasthausgebäude selbst
sieht ganz gut aus
Holzrechen am Abzweig „Am Thorwald“ komplett zerborsten
Man soll aber auch einmal daran denken, was alles gehalten hat. Die beschädigten Brücken und Stege sind zwar schlimm, - hier aber einmal die Liste der Brücken, die kaum oder nicht beschädigt wurden:
Brücke Bad Schandau Bergmannstraße, Brücke Basteiplatz, Forellenbrücke, Ostrauer Brücke, Brücke unterhalb Campingplatz Ostrauer Mühle, Campingplatzüberfahrt, Brücke Nasser Grund, Brücke Beuthenfall, Kuhstallbrücke Wanderweg Lichtenhainer Wasserfall, Brücke an der Schleiferei (Kuhstallauffahrt), Brücke Felsenmühle, Brücke Neumannmühle.
Bilder vom Hochwasser ...
Sonnabend, 07.08.2010
Sonntag, 08.08.2010
Von wegen Fazit ...
... denn mit den Kirnitzschhochwässern ging es 2010/2011 noch weiter ...
... eine Woche später ... Montag, 16.08.2010
... 8 Wochen später ... Mittwoch, 29.09.2010
... und das Januarhochwasser 2011 gehört eigentlich auch noch in diese Sammlung ... Freitag, 14.01.2011
XX.XX.2010 Initial
10.08.2021 Ereignisanalyse der Landestalsperrenverwaltung 2010 eingearbeitet. Pegel Kirnitzschtal nun 3,18 m statt 2,50 m; Abfluss nun 96 m³/s statt bisher geschätzt 80 m³/s