Das Kirnitzschhochwasser 2021 (Kartenseite)

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Hochwasserseite Kirnitzschhochwasser 2021

Sonnabend, 17.07.2021

Kartenseite Hochwasser 2021 Niederostrau

Nach dem schlimmen Kirnitzschhochwasser am Nachmittag des 17.07.2021 heißt es nicht nur Aufräumen und Schäden beseitigen, sondern auch Vorsorge treffen. Mit dem neuen supergenauen Höhenmodell DGM1 des Landesvermessungsamtes lassen sich Karten erstellen, die Geländeformen in nie gekannter Feinheit zeigen.

 

Das Gelände

Zunächst eine gewöhnliche Geländedarstellung mit 1-Meter-Höhenlinien und Schummerung, die die feinen Geländedetails zeigt. Seit dem 17.07.2021 sehen wir auch kleinere und gewöhnlich nicht wasserführende Rinnen und Schluchten mit anderen Augen.

Karte Relief

 

Hangneigung

Je steiler der Hang, desto reißender wird das Wasser. Über das Gefälle gibt eine Hangneigungskarte Auskunft. Ebenes Gelände ist hellblau eingefärbt, hellgrün bedeutet 6 % Neigung, gelb 12 %, weiß (der Übergang von gelbgrün zu braun) ist mit 18 % die übliche Maximalsteigung von Straßen. Anschließend 18 bis 200 % (Felswände) von hellbraun bis dunkelbraun.

Karte Hangneigung

 

Hangexposition

Um vorauszusehen, wo sich das Wasser sammeln wird, müssen wir die Hangexposition (Hangneigungsrichtung) bestimmen. Südhänge werden rot, Osthänge blau, Nordhänge blaugrün, Westhänge gelbgrün dargestellt. Überall dort, wo sich die Hangexposition ändert, wechselt abrupt die Farbe. Dort liegen entweder Rückenlinien (Grate) oder Tallinien (Rinnen). Die Rückenlinien trennen die Einzugsgebiete der Sturzbäche. Entlang der Tallinien stürzt das Wasser ins Tal.

Karte Relief

 

Abflüsse und Schäden beim Hochwasser

Kartierung der Abflussströme vom 17.07.2021.

Abflüsse und Schäden beim Hochwasser vom 17.07.2021

 

Modellrechnung Abflussvolumen und Abflussstrom

Wo kommen plötzlich so große Wassermassen her? Anders als 2010 war das 2021er Hochwasser kein typisches Kirnitzschhochwasser, bei dem sich Wasser im gesamten Einzugsgebiet der Kirnitzsch sammelt und es einige Zeit dauert, bis die Niederschläge aus hinterem Zschand und Weißbachtal abfließen. Unser Hochwasser war vielmehr ein Seitenhang-Sturzbach-Hochwasser ähnlich 2016 (nur stärker). Ein sehr starker, lokal begrenzter Wolkenbruch ist auf eine Ebenheit niedergegangen. Von dort sind es nur wenige hundert Meter, bis das Sturzwasser die Kirnitzschhänge hinab zu Tale schießt. Das geht alles sehr schnell. Der elbsandsteintypische abrupte Neigungswechsel an der obenen Hangkante von „fast eben“ zu „etwa 45°“ und die geringe Wasseraufnahmefähigkeit des Ackerlandes wirken zusätzlich verschärfend. Es gibt keine Zeitverzögerung und keine Vorwarnzeit.

Mit welchen Abflussmengen ist zu rechnen? Hierfür sind einige Annahmen erforderlich: Niederschlagsmenge, Abflusszeit, Versickerungsanteil (Abflussbeiwert). Dabei ist weniger die absolute Niederschlangmenge bedeutsam, sondern der Volumenzustrom, d. h. der Niederschlagsanfall pro Zeiteinheit. Einige allgemeine Werte: Das schlimme Müglitzhochwasser von 1927 wurde durch 230 mm Niederschlag verursacht, die in 6 Stunden niedergingen. Bei dem todbringenden 2021er Hochwasser von Erft, Ahr, Kyll und Wupper wurden max. 240 mm Niederschlag in 2 Tagen (in Hagen) gemeldet. Beim Elbehochwasser 2002 sind sogar bis 400 mm Niederschlag gefallen (d. h. 2/3. der üblichen Jahres-Niederschlagsmenge von 600 mm) – allerdings auch über mehrere Tage summiert.

Welche Mengen fallen in kurzen Zeiten? 2010 wurden die verheerenden Fluten in Bertsdorf-Hörnitz 2010 bei einem Stundenniederschlag von 34,4 mm verursacht (in 24 Stunden 145 mm). Am Zeughaus fielen am 16.08.2010 42,9 mm in einer Stunde (Quelle Ereignisanalyse Hochwasser 2010 der Landestalsperrenverwaltung), in Graupa wares es sogar 52,1 mm.

Tatschlich sind am 17.07.2021 in Mittelndorf 78,2 mm in 24 Stunden niedergegangen.

Wir rechnen ein Modell, bei dem angenommen wird, das vier Stunden lang je 25 mm Niederschlag vollständig abfließen („100 mm in 14400 Abflusssekunden“). Die Karte enthält rote Linien. Dies sind Wasserscheiden, die den Gesamtabfluss in 7 Sektoren A bis G aufteilen. Pro Sektor gibt es je untereinanderstehend drei Zahlenwerte:

Karte Abflussmengen

Bei der Einzugsgebietsgröße wurde etwas hinzugeschätzt, denn Wasserscheiden sind oben auf den Ebenheiten oft nur unscharf festlegbar. Die ermittelten Volumenströme sind gewaltig. 0,6 bis 1,9 m³/s bedeutet, dass in einzelnen Schluchten durchaus so viel Sturzwasser die Hänge hinunterstürzen kann, dass es größenordnungsmäßig den Mittelwasserabfluss der Kirnitzsch erreicht.

Die Karten zeigen weitere Einzelheiten. So fällt auf, dass die Wohngebäude Niederweg 7 und 9, 13, 14 und 18 sowie auch 24 auf alten Schwemmkegeln stehen. Dort dürfte immer wieder Hochwasser drohen.

Bemerkenswert ist die Abtrennung der Mure 8 (von Mure 9) und ihr Talübergang von Sektor C in Sektor B. Derartige „Bifurkationen“ (Durchflüsse von Wasserscheiden) sind in der Natur selten, aber nicht völlig unmöglich. Bei der Gratüberwindung hat gewiss der Durchstich des Verkehrsweges Ostrauer Berg eine Rolle gespielt. In Sektor B gibt es keine natürlichen Abflussbahnen, so dass das Wasser dort ohne „natürliches Vorbild geführt“ abfließt, was letztendlich zur besonderen Gefährlichkeit und Zufälligkeit der Murenbahn von Mure 8 beiträgt. Das sie letztenlich das Haus Niederweg 10 getroffen hat, ist auch Zufall.

Möglichkeiten zur Hochwasservorsorge: Abflussquerschnitt in den Schwemmkegeln schaffen; Bifurkation verhindern; auf den Ebenheiten Ackerland und Wald umwandeln.


Nachtrag 14.08.2021

Eine Hochwasserabflussmodellierung von Isaak Gregor Scherz, Königstein

zeigt, was bei Starkregen tatsächlich passiert. Wassertiefen bei einem 10jährigen Starkregenereignis von 6 Stunden Dauer:

Karte Abflussmengen

Man lasse sich von den feinen Linien nicht täuschen. Ein Pixel entspricht ca. 1,15 m in der Natur. Eine kleine hellblaue Linie kann mehrere hundert Liter pro Sekunde bedeuten. Ein sechsstündiger Starkregen ist zwar wohl nicht allzu wahrscheinlich, auszuschließen ist so ein Ereignis aber keinesfalls.

Es ist verblüffend, wie die Wasserabflüsse im Modell mit tatsächlichen 2021er Hochwasserschäden übereinstimmen. Mure 9, Mure/Sturzwasser 12 und Sturzwasser 14 liegen in klar erkennbaren Abflussrinnen. Bei Mure 8 ist das nicht der Fall, was an der Bifurkation liegt. Mure 8 ist rinnenlos und damit zufällig zu Tale gegangen. Und wenn man sich die Situation an eingestürzten Stützmauerabschnitten betrachtet, findet man auch dort stets kleinere Abflussrinnenstücke (die bisher allerdings kaum wahrgenommen worden sind). Damit ist klar, warum die Mauern gerade dort eingestürzt sind: Wenn da mehrere hundert Liter pro Sekunde talwärts stürzen, so sind dies schnell ein paar hundert Tonnen Wasser nach einigen Minuten. Wenn sich da so eine alte Trockenmauer quer stellt, hat die Mauer nicht viel Chancen. Bermerkenswert ist weiterhin eine Rinne, die bei Villa Emma/Olga von Nordwest ins Kirnitzschtal mündet. Dort war vor etwa 10 Jahren ein großes Stützmauerstück eingestürzt.

Ich bedanke mich bei Isaak Gregor Scherz für die sehr instruktive Berechnung.


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Technische Daten: Die Kartenpixel sind in der Natur 40 cm groß, ich habe das DGM1 also auf 250 % vergrößert. 100 m entsprechen 250 Pixeln. Kartengröße 2500×4500 Pixel, was 1000×1800 Naturmetern entspricht. Plot mit 125 dpcm alias 317,5 dpi ergibt Kartengröße 20×36 cm und Maßstab 1:5000. Zweieinhalbfach größer sind es 90×50 cm – Maßstab 1:2000. Koordinatensystem ist das UTM des DGM1.


27.07.2021 Hochwassergefahrenkarten
01.08.2021 Seite fertig
14.08.2021 Hochwasserabflussmodellierung von Issak Gregor Scherz

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