Wandern, Delphi, Gäa und der olle Ödipus

Klassische Antike in den Partschenhörnern

Von Zeit zu Zeit erhalte ich Mailanfragen, wie diese von Frau XXX:

  Von: XXX [mailto:xxx@xxxxxxxx.de]
  An: info2@boehmwanderkarten.de
  Betreff: Info Entenpfützenweg

Hallo Herr Böhm,

alle Jahre wieder komme ich in die Sächsische Schweiz zum Wandern und begeistere dafür meinen Freundeskreis. Dieses Jahr sind wir an zwei Wochenenden auf dem Winterberg untergebracht und ich plane so langsam die Wanderungen. Auf Ihrer Karte habe ich den Entenpfützenweg entdeckt. Ist dieser bewanderbar? Und gibt es noch eine Empfehlung von Ihnen für eine Wanderung?

Ich danke Ihnen im Voraus - und auch für Ihre wundervollen Karten.

Mit freundlichen Grüßen, Uta XXX

Wie beantwortet man eine solche Mail?

 

Eine kurze Mail und doch eine ganz schwierige Frage.

Antworte ich, dass der Weg verboten sei, so stelle ich Frau XXX ' wunderbare Wanderungen in der Natur als eher bedenklich dar. Wenn ich aber den Weg als erlaubt darstelle, begebe ich mich auf das Terrain eines möglichen Förderns von Ordnungswidrigkeiten. König Salomo hätte hier gewiss eine knappe salomonische Antwort gefunden. Cand. iur. natur. Böhm ist da ein bisschen der philosophische Typ. Die Antwort ist ein bissl länger Text geworden, in dem zwar nicht König Salomo, dafür aber Ödipus, Gäa und das Orakel von Delphi vorkommen.

 

Sehr geehrte Frau XXX,

es gibt zwei Wege, die als Entenpfützenweg bezeichnet werden. Dies ist zum einen der Grenzweg direkt auf der Grenze etwas im Wald und zum anderen parallellaufend der eigentliche Entenpfützenweg etwa 50 m auf tschechischer Seite direkt oberhalb der Felswände. Dort gibt es viele herrliche Aussichten. Zwischen beiden Weglinien kann man immer mal hin- und herwechseln.

Rein rechtlich: Der Grenzweg D-CZ ist von „Am Katzenstein“ bis zum Raingrund begehbar. Er sollte seinerzeit gesperrt werden, die Sperrung konnte aber nur einvernehmlich erfolgen und die Sächsischen Wander- und Bergsportvereine, vertreten durch den Sächsischen Bergsteigerbund (SBB) haben der Sperrung nicht zugestimmt. Daher ist das Begehungsrecht offen. Das weiß nur niemand und deshalb denken alle, der Grenzweg wäre gesperrt. Freilich argwöhnen viele Wanderer, dass die Nationalparkverwaltung Wanderer dort nicht so gerne sehen würde, das muss aber nicht stimmen. — Zum Weg auf tschechischer Seite: Dieser ist, so glaube ich, Kernzone, nicht erlaubt und damit verboten. Das ist wegen der wunderbaren Aussichten schade.

Blick in Böhmische  Blick ins Böhmische

Aber was heißt das nun konkret? Es ist unsere Mutter Natur, in der wir kaum harmloser sein können, als wenn wir da einfach nur so durchwandern. Wir gehen doch raus, um uns von der urbanen Überreguliertheit unseres Lebens zu erholen. Und kaum draußen, setzt die Zivilisation, prompt in der Form der Nationalpark-Verregeltheit, schon wieder nach.

Gesperrt zum Schutz der Natur  Gesperrt zum Schutz der Natur

Naturschutz ohne und gegen den Menschen. So bezeichne ich die Art Naturschutz, wie sie u. a. vom Bundesumweltministerium, dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft, aber auch zahlreichen sog. Naturschutz-Dachverbänden betrieben wird. Grundlage ist die in Deutschland herrschende Naturschutz-Lehrmeinung, dass es ein Spannungsfeld Naturschutz – Tourismus geben würde, dass wir alle so eine Art „Massentouristen“ seien, und die machen eben grundsätzlich alles platt. Die Meinung in Tschechien ist ähnlich. Wie sich das Bundesumweltministerium vermeintlich wissenschaftliche Studien zurechtmanipuliert – um uns Wanderern Natur-Entfremdung nachzuweisen, das ist u. a. hier nachlesbar.

Das ist nun einmal so. Es hilft aber nichts, es gibt nunmal in Deutschland Unmassen Hochschullehrstühle für Naturschutz, Landschaftsökologie, Biodiversität usw. Das hört sich Klasse an, weshalb das dann auch viele studieren. Die Ausgebildeten wollen auch alle einen Job, gegen den Harvester können die sowieso nichts machen, und so sind wir Wanderer eben die Schuldigen. Das Ganze ist ein sich selbst erhaltendes und legitimierendes System. Die Parlamentarier einbegriffen, die vertrauen oft auf die Expertisen der Experten, denn wenn es knifflig wird, bleibt einem ja doch vermeintlich nichts, als sich dem Fachwissen der Fachleute anzuschließen.

Fachwissen ist wichtig und geht in Ordnung. Aber nicht nur den Wanderer kritisch sehen, sondern auch unser eigenes Welt-, Kultur- und Naturbild einmal hinterfragen. Das macht u. a. der Marburger Natursoziologe Rainer Brämer, der uns allen ein wenig ein Bambi-Syndrom diagnostiziert.

Gibt es Alternativen? Möglicherweise. Die könnten heißen –

Naturschutz mit und für den Menschen. Grundlage könnte dabei die Harmonie von Mensch und Natur sein. So einem Naturschutzbild begegne ich übrigens überraschenderweise oft, wenn ich in aller Abgelegenheit im Wald einem Ranger begegne. Wer den ganzen Tag draußen ist (und sei es auch als „Wanderer- Aufpasser“ im Job), weiß nämlich, das alles bissl anders ist, als es so europaweit agierende Naturschutzlobbyverbände mit typischem Sitz in naturnahen Landschaftsräumen wie Berlin darstellen. Es gibt doch kaum eine harmlosere Interaktion Mensch-Natur, als wenn man da einfach nur so durch die Landschaft durchwandert. Lassen Sie sich doch bitte nicht einreden, Sie würden die Natur kaputt machen. Und da kommt noch etwas anderes dazu: Das Wegenetz ist ein sehr wertvolles Kulturgut und es kann nicht anders erhalten werden, als durch ständiges Bewandern. Klar, das Wandern soll natürlich angemessen sein und nicht überhand nehmen. Wenn zu viele Wanderer auf wenigen Hauptwegen wandern, kann es zu Trittschäden kommen:

Trittschäden  Ob die Bäume das gerne haben?

Dort wo nur angemessen viele Menschen unterwegs sind, bilden sich die kleinen romantischen Pfade heraus:

Stiller Pfad  Auf Hansjörg Hüblers Stillem Pfad

Genau dieses naturnahe Wandern ist das, was die Menschen im Elbsandstein seit Zingg und Friedrich hier machen. Da geht keine Natur kaputt. Das hat sich auch erst unlängst auf dem 116. Deutschen Wandertag im Elbsandstein gezeigt. 120 geführte Wanderungen mit tausenden Wanderern. Eine davon hatte ich mit 30 Wanderern über die Thorwalder Wände geführt. Den ganzen Tag sind wir kaum jemandem begegnet. Es „verläuft“ sich einfach in den großen Fels-Wald-Gebieten. Die Nationalparkverwaltung hat auf dem Thorwaldwand-Gratweg (den ich übrigens auf Empfehlung der Nationalparkverwaltung auf meinen Karten nicht darstelle) einen Zähler aufgestellt: 4000 Wanderer pro Jahr. Das klingt nach viel. Täglich sind das aber nur etwa 10 Wanderer, an einem schönen Frühlingsfeiertag vielleicht auch mal 50. Aber das ist doch bitteschön keine „Überlaufenheit“.

Praktisch ist es natürlich ein bisschen ein Problem, denn Sie wollen sich ja erholen und nicht so eine Art Räuber-und-Gendarm-Spiel mit den Rangern spielen. So eine „belehrendes Ertapptwerden“ kann einem einen ganzen Wandertag vermiesen. — Ach Quatsch, weit draußen, da nicht auf den Paragraphen rumreiten, sondern über die Natur reden. Die Ranger waren früher oft Forstarbeiter. So einen Beruf sucht man sich nicht, wenn man die Natur nicht gern hat. Die Ranger wissen, was es heißt, tagelang draußen zu sein, lieben den Wald und haben jahrelang oft selbst Bäume gefällt. Das kommt denen selbst spanisch vor, Ihnen nun einzureden zu müssen, Sie würden beim Wandern die Natur kaputt machen. Ein Ranger hat mir mal erzählt, wie er einmal Boofern begegnet ist: „Ich habe ihnen von meinen Heidelbeeren abgegeben, und sie haben mir von ihrem Feuerwasser abgegeben.“ Klar, früher ist er ja auch selbst oft Boofen gegangen.

Es ist gerade ein Super-Heidelbeerenjahr. Einen kleinen Trinktopf mitnehmen, ein paar Heidelbeeren reinsammeln und wenn Sie einem Ranger begegnen, bieten Sie ihm ein paar an. Es gibt diesen Sommer so viele Beeren, da braucht man nicht mal vom Weg runter. Er wird zwar vielleicht höflich ablehnen, es wird aber rüber kommen, dass Sie viel Freude an unserer Landschaft haben und vielleicht gibt er Ihnen noch einen Tipp für einem besonders schönen verschwiegenen (und erlaubten) hübschen kleinen Natur-Flecken im Wald.

Es ist wie in der griechischen Tragödie. Der tragische Held (Nationalparkverwaltung) setzt das tragische Geschehen (Natur-Entfremdung der Menschen) dadurch in Gang, in dem er es (mit Wegesperrungen) zu verhindern sucht. Indem er versucht, sich dem Orakelspruch zu widersetzen, gerät Ödipus auf den Schicksalsweg, der ihn zum Mörder seines Vaters werden lässt. Wenn wir dem Orakelspruch, dass wir als Wanderer die Natur kaputt machen, entgehen wöllten, so wird uns als Verhaltensweise vorgegeben, doch nur noch auf wenigen, gut ausgebauten Hauptwanderwegen zu wandern und doch endlich das Bewandern der vielen kleineren Pfade zu unterlassen. Zur wahrhaft naturnahen Trekkingtour jetten wir dann nach Neuseeland. Und werden mit dem dann rausgerotzten CO2 in ungleich stärkerem Maße zur Mörderin unserer Mutter Natur, als auf dem wunderbaren Entenpfützenweg*).

Zum Glück ist da aber bereits die olle Gaä in uns stärker und geht da bissl auf Gegenkurs. Die kleinen Pfade sind einfach zu schön. Das Orakel von Delphi hat einfach Quatsch erzählt. (Was ja bei so Kaffeesatzlesen auch kaum verwunderlich ist.)

Ödipus hätte ganz leicht seinem Schicksal entgehen können. Indem er das Orakel von Delphi einfach ignoriert hätte. Einfach mal nichts machen. Einfach die Leute nur draußensein lassen und wandern lassen. Nicht schon wieder argwöhnen, hier gänge alles kaputt. Und alles wäre voll in Ordnung. Die Leute laufen einfach durch den Wald. Jeden Tag 10 Wanderer auf einem kleinen Pfad, der sich da durch die Felsen schlängelt. Wo ist das Problem, Frau Hendricks**)?

Viel Freude an den Heidelbeeren und allzeit fröhliches Wandern wünscht Ihnen

Rolf Böhm

Links
Rainer Brämer zur Natur-Entfremdung


 

*) Hausaufgabe: Vergleichen Sie einen Wanderer mit einer Boeing 747 hinsichtlich ihres CO2-Ausstoßes je Person×100 Kilometer. Hinweis: Sie können die mediale Wirkung noch potenzieren, indem Sie die Werte nicht auf 100 Kilometer, sondern auf Sekunden Wanderzeit bzw. Flugzeit beziehen. Formulieren Sie das Ergebnis in einer Presseinfo zur Unterstützung der Lobbyarbeit von www.sandsteinwandern.de.

**) Barbara Hendricks ist die Bundesumweltministerium, derzeit wegen der Atommüllendlagerung, die unter Federführung des Bundesumweltministeriums bearbeitet wird, in den Medien. Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist wirklich ein großes Problem, das wir irgendwie hinkriegen müssen. Und das nicht nur mit der Argumentation, irgendwo hin mit dem Plutonium, Hauptsache nicht zu uns. Nur, wir werden diese Problematik nicht einer Lösung näher bringen, indem wir ausgerechnet auf das Wandern auf dem Entenpfützenweg verzichten. Ansonsten achte ich Barbara Hendricks als Politkerin, ebenso wie den ehemaligen Sächsischen Umweltminister Frank Kupfer und den jetzigen, Thomas Schmidt. Ich finde, die machen alle einen ganz guten Job. Den Atommüll haben ja schließlich nicht die Umweltminister erfunden, und die Natur-Entfremdung auch nicht. Die Umweltpolitik setzt nur um, was in unseren Herzen schon vorher drin ist.

07.07.2016
25.10.2016

Zum Seitenanfang