Wo liegt der Mittelpunkt der Sächsischen Schweiz?

Redaktionsakte

Eine Motivationsseite für alle, die schonmal durch eine Matheprüfung gefallen sind

Wie berechnet man den Schwerpunkt einer Fläche?

Relief Sächsische Schweiz

Jan Sebastian hat mich motiviert, nach dem Mittelpunkt der Sächsischen Schweiz zu suchen und Gerald Schöbl hat mir dazu diesen Link geschickt. Dort gibt es ganz viele Vorschläge, einen „Mittelpunkt“ zu bestimmen. Unmassen Dreiecke, Vierecke, Inkreise, Umkreise usw., und kaum setzt man irgendeinen Punkt anders, kommt ein völlig anderer „Mittelpunkt“ raus. Kein Wunder dass mit den vielen „Mittelpunkten“ von Europa, Deutschland, Sachsen usw. keiner mehr durchsieht.

Klare Ansage: Es gibt immer nur eine einzige Art Mittelpunkt, und das ist der Schwerpunkt. Um diesen zu ermitteln, haben aber alle immer nur den Tipp, Fläche ausdrucken, auf Sperrholz aufkleben, aussägen und dann das Brettchen so lange auf einer Nadelspitze hin- und herbalancieren, bis es „stabil liegt“. Der Nadelaufsetzpunkt ist dann der Schwerpunkt. Irgendwie unpraktisch und – sollte das nicht auch irgendwie ein Computer rauskriegen können?

Klar, Wikipedia, aber, oh Schreck, 1000 Formeln, gigantische Integrale, die keiner kapiert. Mit solcherart mathematischer Wichtigtuerei haben schon ganze Generationen von Schülern und Studenten Mathe hassen gelernt und auf Politologie umgeswitcht.

Geht es nicht digital und einfach zugleich? Muss man immer alles mit so blöden Formeln machen? Muss man nicht, Mathe kann man auch mit ein paar schönen Bildern machen. Ich bedanke mich herzlich bei Thomas Steinbrecher, Hildesheim, der mir zu den folgenden Berechnungen die Grundidee geliefert hat.

Los gehts ...

Als Ausgangsmaterial braucht man ein Bild von dem Gebiet, dessen Schwerpunkt bestimmt werden soll. Die Gebietsabgrenzung haben wir ja bereits hier festgelegt und können diese übernehmen:

Relief Sächsische Schweiz
Sächsische Schweiz, volle Auflösung 3600×3600

Aus methodischen Gründen wurde das Bild von 2800×3600 auf Bildgröße „quadratisch 3600×3600“ ergänzt, indem unten/oben je 400 Pixel angefügt wurden. Das Koordinatensystem liegt so, dass

Aus diesem Bild holen wir nun die „Sächsische-Schweiz-Fläche“ als schönes Schwarz-Weiß-Bild raus:

Binärbild Sächsische Schweiz
Binärbild, volle Auflösung

Rechnerisch bedeutsam ist, dass wir die Pixelgrauwerte nicht, wie in der Bildverarbeitung meist üblich, von 0 bis 255 laufen lassen, vielmehr gilt 0=weiß und 1=schwarz und andere Pixelgrauwerte dürfen in dem Bild nicht vorkommen. Typisch digital also. Damit haben wir ein „Binärbild“ der Fläche, deren Schwerpunkt zu bestimmen ist.

Zuerst müssen wir herausbekommen, wie viele schwarze Pixel es gibt. Unser Rechenknecht Computer zählt diese in einer Zehntelsekunde durch: 5.173.962 Stück. Wichtiger Wert, 5,17 Millionen, bitte ebenfalls merken.

Nun machen wir einen „Keil“, genaugenommen einen „X-Keil“ ...

X-Keil
(X-Keil in 15% Größe)

Ein X-Keil ist ein Bild, in dem alle Pixel der 1. Spalte den Grauwert 1 haben, 2. Spalte Grauwert 2, 3. Spalte Grauwert 3 usw. fort bis zur letzten Spalte. Dort steht in unserem Fall Grauwert 3600. In jedem Pixel steht also dessen X-Adresse.

Nun wird unser Binärbild mit dem Keil multipliziert. Man kann auch sagen, zusammenmaskiert: wo das Binärbild schwarz ist, wird der Keil „durchgepaust“, was weiß ist, bleibt weiß. Als Ergebnis Binärbild × X-Keil entsteht folgendes „X-Messbild“:

X-Messbild
(X-Messbild, in 15 % Größe)

In den Sächsischen-Schweiz-Pixeln steht nun also die X-Pixeladresse, Außerhalbgebiete sind weiß, was Null bedeutet.

Nun etwas Mathe, aber nicht schlimm: Das arithmetische Mittel von mehreren Zahlenwerten ist die Summe der Werte geteilt durch Anzahl der Werte.

Das steht so zwar auch in der Wikipedia unter „Geometrischer Schwerpunkt“, aber die schreiben das so:

Wikipediaformel

Klar, muss ja kompliziert aussehen. Dazu Garnierung mit einem Geschwubel von „ℝ-Vektorraum“;, „k-dimensionalem Simplex“ und „baryzentrischen Koordinaten“. Da muss man erst einmal draufkommen, dass das alles völlig überflüssig ist.

Und überhaupt, wieso die immer mit so Differential- und Integralrechnung anfangen. Und du denkst dann immer, wow, das kapier ich nie. Andersherum wird eine Schuh daraus. Es ist doch völlig klar, dass es in Wirklichkeit so etwas, wie diese „unendlich kleinen“ Differentiale gar nicht geben kann. Eben weil „unendlich klein“ niemals zu kapieren ist. Das kapiert übrigens auch kein Computer, eine reele Zahl, ein „unendlich kleines bisschen größer“ als Null. Computer können immer nur rationale Zahlen. „Unendlich klein“ über Null geht überhaupt nicht. Die allerkleinste Zahl größer als Null (die ein Programmierer in „double“ definieren kann), ist ungefähr 10-308. Das ist keinesfalls „unendlich klein“, sondern vielmehr „endlich klein“ (wenn auch vielleicht „winzig klein“). Genauso ein Pixel. Das ist auch nicht „unendlich klein“, sondern „endlich klein“ und damit begreifbar. Da weiß man, was man hat. Entschuldigung, kleine Abschweifung.

Zurück zum Thema. Arithmetisches Mittel. Summe der Werte geteilt durch Anzahl der Werte.

Vom Messbild kann man nun ein Histogramm machen und die „Pixelsumme“ ermitteln, das sind alle Pixel zusammengerechnet. Die Pixelsumme unseres X-Messbildes lautet 8.826.090.229.

Die Pixelanzahl hatten wir bereits oben anhand des Binärbildes ermittelt und uns gemerkt. Das waren die 5,17 Millionen. Nun Rechnung 8.826.090.229 geteilt durch 5.173.962 ergibt 1705,8668. Genau das ist die X-Adresse des gesuchten Schwerpunktes. So einfach ist das. Teil 1 – erledigt.

Teil 2 ist Y. Dasselbe nochmal. Nun nehmen wir einen Y-Keil ...

Y-Keil
(Y-Keil in 15 % Größe)

... multiplizieren den mit dem Binärbild, und erhalten nun das „Y-Messbild“:

Y-Messbild
(Y-Messbild in 15 % Größe)

Auch hier wieder Pixelsumme bestimmen, unsere Bildverarbeitung ermittelt 9.777.457.095. Das wieder durch die Pixelanzahl teilen, also 5.173.962, Ergebnis 1889,7427; das ist die Y-Adresse. So einfach ist das also:

X=1705,8668; Y=1889,7427

Fertig. Nun können wir den Mittelpunkt schonmal in das Bild einplotten:

Schwerpunkt
Gesamtbild mit Schwerpunkt

So, das ist eigentlich alles.


 

Probe

Stimmt das Ergebnis aber auch? Könnte ja sein, wir haben uns verrechnet oder alles ist falsch. Darum Verprobung.

Es ist eine Grundeigenschaft des Schwerpunktes, koordinatenunabhängig zu sein. Wir drehen unser Bild um 30°. Neues Koordinatensystem, erneute Schwerpunktberechnung. (8660913376/5174002=1673,9 und 9470893416/5174002=1830,5. Wer sich über die andere Pixelzahl wundert, die hat sich beim Verdrehen von 5173962 auf 5174002 geändert). Völlig andere Bildkoordinate ...

Schwerpunkt 30º
Gesamtbild um 30º verdreht, mit Schwerpunkt

... aber der Schwerpunkt liegt an genau derselben Stelle in der Landschaft. Noch ein Versuch, Drehung um insgesamt 60°, wieder neue Schwerpunktberechnung ( ... 1675,9; 1763,2):

Scherpunkt 60º
Gesamtbild um 60º verdreht, mit Schwerpunkt

Man kann machen, was man will, der Schwerpunkt bleibt immer an derselben Stelle.

Offenbar stimmt alles und der ermittelte Punkt ist wirklich der Schwerpunkt der Sächsischen Schweiz.


 

Ergebnis

Noch sind wir nicht ganz fertig. Für einen ordentlichen Mittelpunkt geziemt es sich, dass seine Koordinaten korrekt in UTM angegeben werden. Also Bildadressen X=1705,8668; Y=1889,7427 mit Pixelgröße 10 Meter multiplizieren und UTM-Adresse der linken unteren Bildecke dazurechnen:

  ---------------------------------------------------------
                                             X            Y
  ---------------------------------------------------------
    SW-Bildecke UTM                 422000,000  5624000,000
  + Bildkoordinate Schwerpunkt       17058,668    18897,427
  = Koordinate Schwerpunkt UTM      439058,668  5642897,427
  ---------------------------------------------------------
  
Werte ein wenig gerundet und unter Berücksichtigung der Berechnungen von Maik Nicke (s. u.), ausgeglichen:

    X=439058, Y=5642891

Hier noch die Umrechnung in Grad (WGS84):

  50° 56' 4"    14° 7' 58"  (Grad, Minute, Sekunde)
  50° 56,065'   14° 7,963'  (dezimalgeteilte Minute)
  50,93443      14,13272    (Dezimalgrad)
  50934430      14132720    (Mikrograd)
  

Und wo liegt nun der Mittelpunkt der Sächsischen Schweiz im Gelände? In Rathmannsdorf, s. hierzu unten, Nachtrag vom 19.01.2021: Der Punkt liegt 114 Meter unterhalb der Mittelachse der Eisenbahnbrücke vor dem Mühlhorntunnel (die gerade neu errichtet worden ist). Vom der Südostecke des letzten Nebengebäudes bergseitig (einem Carport) sind es 51 Meter. Entfernung von der Straßenachse 6 m (also vielleicht 3 m ab Mauer im Gelände).


 

Anmerkungen


 

Nachtrag 13.01.2021

Maik Nicke hat mein Verfahren geprüft und ist zu leicht abweichenden Punktlagen gekommen.

So liegen die Punkte in der Örtlichkeit:

Schwerpunkte

Zusammenfassung:

  ---------------------------------------------------------------------------
  Mittelpunkt der Sächsischen Schweiz            X                   Y
  ---------------------------------------------------------------------------
  Böhm,  29.12.2019, Lage „grün“        439058,668         5642897,427
  Nicke, 17.12.2020, Lage „rot“         439052,900         5642892,600
  Nicke, 23.12.2020, Lage „braun        439053,668         5642892,428
  Nicke, 13.01.2021, Lage „cyan“        439066,100         5642882,600
  Mittelwert                            439057,834 ±6,075  5642891,264 ±6,223
  Gerundet                              439058,000         5642891,000
  ---------------------------------------------------------------------------
  

Ich bedanke mich herzlich bei Maik Nicke für die aufwändige Nachstellung der Koordinatenberechnung.


 

Nachtrag 19.01.2021

Oh so viele Informationen! Geht es nicht auch einfacher? Natürlich, mit einer guten alte Papierkarte vom Landesvermessungsamt. Einfach mit Zeichendreieck und Tusche alles auf Top. Karte 1:10000 einzeichnen:

TK10, Scan mit 1200 dpi

Damit lässt sich nun auch die genaue Punktlage im Gelände ermitteln: Der Punkt liegt 114 Meter unterhalb der Mittelachse der Eisenbahnbrücke vor dem Mühlhorntunnel (die gerade neu errichtet worden ist). Vom der Südostecke des letzten Nebengebäudes bergseitig (einem Carport) sind es 51 Meter. Entfernung von der Straßenachse 6 m (also vielleicht 3 m ab Mauer im Gelände).

 

28.11.2019: Initial
03.12.2019: Rohfertig
29.12.2019: Geprüft und fertig zusammengeschrieben
13.01.2021: Nachprüfung Maik Nicke
19.01.2021: Einzeichnung Top. Karte 1:10000
22.10.2022: Geographische Koordinten hinzugefügt