Cuyahoga: Amerikanische Nationalparks einmal ganz anders

Zuerst dachte ich, es wären alles Druckfehler

Der Nationalpark-Typ „Yellowstone“

Der Nationalpark Sächsische Schweiz wird oft mit „richtigen“ Nationalparks verglichen. Als „richtiger“ Nationalparktyp gilt der Typ „Yellowstone“. Und da kommt der Nationalpark Sächsische Schweiz regelmäßig schlecht weg:

  1. zu siedlungsnah
  2. zu klein
  3. zu zerfasert
  4. aufgeteilt in zwei Teilgebiete
  5. im Grunde gar keine richtige Naturlandschaft
  6. statt dessen eine alte Kulturlandschaft
  7. daher viel Entwicklungs- und Umbauerfordernis
  8. was aber per „Natur natur sein lassen“ kaum zu leisten ist
  9. zu viele Wanderwege
  10. zu viele Touristen usw.

Seit 30 Jahren wird das Gebiet in Richtung eines „richtigen“ Nationalparks entwickelt. Doch trotz aller Mühe will es einfach nicht klappen. All der Natur- und Prozesschutz hat bisher kaum „schöne“ oder „artenreiche“ Wildnis geschaffen. Ist nicht derereinst die Nationalpark-Idee damit angetreten, Mensch und Natur miteinander zu versöhnen? „Ach, was wird das doch für eine wunderschöne Märchen-Urwald-Wildnis werden“ haben wir einmal alle geglaubt. Ja, wie im Yellowstone. Doch die Realität sieht oft anders aus. Totholz, Borkenkäfermikado, Wandbrandfläche.

Da ist nun guter Rat teuer.

Vielleicht ist aber die Theorie falsch? Vielleicht ist der Nationalpark-Typ „Yellowstone“ einfach das falsche Modell?

Versuchen wir es doch mal mit einem anderen Blick. Wo steht denn geschrieben, dass wir unbedingt eine Art „Yellowstone“ aus der Sächsischen Schweiz machen müssen?

Der Nationalpark-Typ „Cuhayoga“

Axel Mothes hat mir ein Zauberwort gemailt: „Cuyahoga“. Noch nie gehört. In Langform Cuyahoga Valley National Park, Ohio, USA. Das musste ich gleich einmal in www.openstreetmap.org nachschlagen:

National Park Cuyahoga
Lage Cuyahoga (Übersichtsmaßstab)

Der Cuyahoga Valley National Park liegt am Eriesee. 132 km² groß, 2,9 Millionen Besucher pro Jahr. Der Clou ist: Er liegt nicht in menschenleerer Ödnis, sondern zwischen zwei Großstädten, Akron und Cleveland. Die Ödnis haben die Menschen hier allerdings selbst gemacht. Cleveland war einmal ein gewaltiges Industriegebiet. Akron hat einmal die ganze Welt mit Autoreifen versorgt. Doch dann kam der Strukturwandel und die ganzen Industrieansiedlungen sind zusammengebrochen. Zurückgeblieben sind Industriebrachen und riesige Umweltschäden. Von Verursachern von Umweltschäden werden in Amerika große Schadensersatzsummen eingetrieben. Doch nur mit Geldzahlungen ist es natürlich nicht getan. Aus dem Geld muss man auch was machen. Die Amerikaner sind findige Leute. Aus Geld was machen – das bringen die. Die machen da einen Nationalpark draus.

Der Nationalpark geht direkt an der Stadtgrenze los. Er liegt mitten in dicht besiedeltem Gebiet. Zerfasert ist dieser Nationalpark selbstverständlich auch, das geht ja gar nicht anders, man musste ihn ja in die übrige Siedlungslandschaft und die ganzen lost places und landfills hineinbauen.

Wir zoomen das mal (oranges Rechteck in der Karte oben) etwas näher heran:

National Park Cuyahoga
Luftbild Cuyahoga (größerer Maßstab)

Autobahnkreuze im Nationalpark? Gewiss doch das ist die Ohio Turnpike. Da bauen die einen Nationalpark rein.

Okay, könnte man meinen, Amerika eben. Oben vielleicht Autobahn und darunter menschenleere und völlig unwegsame Urwaldwildnis. Doch weit gefehlt. Wir zoomen nochmal ran (wieder oranges Rechteck): In dem vermeintlichen Urwald gibt es massenhaft Wanderwege. Die tragen klangvolle Namen wie „Lamb Loop“, „Eastern Rim Phase 1“ oder „Edson Rum“. Einen Bike and Hike Trail gibt es ebenfalls.

Zum Vergleich legen wir maßstabsgleich die Sächsische Schweiz am Zeughaus darunter:

National Park Cuyahoga Valley
Vergleich Wegedichte Cuyahoga – Sächsische Schweiz (Detailmaßstab)

Natürlich interessiere ich mich auch für die Dichte der Wanderwege. Die eingezeicheten Kreise haben je 150 Meter Durchmesser und zeigen: Stellenweise gibt es im Cuyahoga viel mehr Wege und Pfade als bei uns vor der Nationalparkgründung in der Kernzone. In Amerika werden in Nationalparks Wege angelegt, um den Menschen die Natur zu erschließen. Bei uns werden sie „reduziert“, weil wir uns in Richtung einer menschenleeren Wildnis wie im Yellowstone-Nationalpark entwickeln wollen.

Aber nicht überall hat man Wege angelegt. Infolgedessen sind auch einige Quadratkilometer im Cuyahoga völlig wegelos. Ob das nun „naturschutzfachlich angelegte Ruhebereiche“ à la unserer Kernzone sind? Ich denke nicht. Wälder in Amerika sind oft völlig unwegsam und nur für Autos erschlossen. Auch gibt es plötzlich, mitten im Nationalpark das „Blossom Music Center“ und das „Porthouse Theater“. Skihänge, Golfplätze sowieso und ebenfalls selbstverständlich: jederzeit und überall massenhaft: Parkplätze. Ebenfalls erkennbar: Viele alte Deponien und Halden. Aber auch Quellen, Furten, Ruhebänke, Grillplätze, Schutzhütten. Ohne vor Ort gewesen zu sein, kann man von allem sicher nur eine sehr ungefähre Vorstellung erwerben.

Alles in allem: ein ein bisschen verrückter Nationalpark ist der Cuyahoga schon. Aber ist es dort wirklich so unendlich „urbanisierter“ als bei uns im Elbsandstein? Auch bei uns gibt es die Felsenbühne, alte Fabrikstandorte und Steinbruchhalden, in Elb-, Sebnitz- und Polenztal. Und während im Cuyahoga vielleicht einmal 10 % der Welt-Autoreifen produziert worden sind, ist bei uns einmal 1 % des Welturans gefördert worden. Da beschäftigen auch wir uns heute noch mit den Hinterlassenschaften, gleich am Nationalpark.

 

Wir vergleichen:

Siedlungsferne – Cuyahoga: Cleveland und Akron mit zusammen 580.000 Einwohnern, Entfernung zum Nationalpark 25 km – Sächsische Schweiz: Dresden 560.000 Einwohner, Entfernung zum Nationalpark 40 km.

Größe – Cuyahoga: 132 km² – Sächsische Schweiz 93,5 km²

Besucheranzahl – Cuyahoga 2,9 Millionen pro Jahr – Sächsische Schweiz 3,0 Millionen pro Jahr

Hauptbesucherart – Cuyahoga: Ausflügler/Radfahrer/Jogger aus den Metropolregionen Cleveland/Akron (3 Millionen Einwohner) – Sächsische Schweiz: Wanderer/Tagesausflügler/Kurzurlauber aus den Metropolregionen Dresden/Berlin/Mitteldeutschland (10 Millionen Einwohner)

Siedlungen am Nationalpark – Cuyahoga: Typisch amerikanische Einfamilienhaus-Siedlungen mit Supermärkten, Sportstätten und Großparkplätzen direkt am Nationalpark – Sächsische Schweiz: Ländliches Altsiedelgebiet mit Dörfern und Wäldern.

Wegedichte – Cuyahoga und Sächsische Schweiz: Im Großen und Ganzen wohl recht ähnlich

Wegesystem – Cuyahoga: Ein vielfältiges dichtes Wegenetz, oft neu geschaffene Wege – Sächsische Schweiz: Ebenfalls ein vielfältiges dichtes Wegenetz, das jedoch über Jahrhunderte entstanden ist

Zerschneidungsgrad – Cuyahoga: Zahlreiche Autobahnen – Sächsische Schweiz: Einige Straßen

Kompaktheit und Zerfaserung – Cuyahoga: ein Hauptgebiet – Sächsische Schweiz: zwei Teilgebiete. Insgesamt jedoch wohl recht ähnlich

Naturnähe – Cuyahoga: altes Industriegebiet – Sächsische Schweiz: alter Forstwald

Attraktivität – Könnte sein, dass Fern-Anreisetouristen den Cuyahoga etwas als „langweiligen Wald“ empfinden. – Sächsische Schweiz: unsere Fels-Waldlandschaft fanden schon die Romantiker schön

Wasserfälle – Cuyahoga: Brandywine Falls – Sächsische Schweiz: Lichtenhainer Wasserfall

Romantische Mühlen und Einkehrstätten – Cuyahoga: Wilson Freed Mill, Brandy Falls Inn, Boston Store – Sächsische Schweiz: Buschmühle, Neumannmühle, Felsenmühle

Vorläufer – Cuyahoga: 1974 National Recreation Area – Sächsische Schweiz: 1956 Landschaftsschutzgebiet

Nationalpark-Eröffnung – Cuyahoga: 11.10.2000 – Sächsische Schweiz: 28.04.1990

Im Großen und Ganzen ziemlich ähnlich, oder?

 

Ach, die Nationalparks in Amerika. Doch wie man sieht, nehmen die Amerikaner das selbst nicht so apodiktisch. So können auch wir hier bei uns selbst zusehen, wie wir hier in unserer Landschaft den besten Naturschutz machen können.

Selbstverständlich Naturschutz. Doch da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Cuyahoga zeigt uns, wie vielfältig die Facetten sein können. Wenn man seine Naturschutz-Zielvorstellungen anhand kaum besiedelter Großlandschaften im nordamerikanischen Westen entwickelt und sich dann anschickt, diese schematisch 1:1 auf unser mitteleuropäisches Altsiedelland zu übertragen, sind vielfältige Unstimmigkeiten vorprogrammiert.

„Yellowstone“ ist ein Nationalpark-Typ, „Cuyahoga“ mag ein anderer sein. Auch dieser Typ muss (Autobahnkreuze, nein danke) nicht 100 % unser Vorbild sein. Sehen wir doch bei uns im Elbsandsteingebirge doch einmal selbst zu, dass wir hier einen Nationalpark-Typ finden, der in unseren Verhältnissen der beste ist.

Und wenn wir da nach bald nun 40 Jahren Nationalpark noch ganz am Anfang stehen: Nur Zuversicht. In so einer alten Wanderlandschaft wie der Sächsisch-Böhmischen Schweiz kann man gewiss sehr viel Ideen, Kraft und Hoffnung schöpfen.


 

Nachtrag 29.01.2024. Eins fehlt noch zum Abschluss: der Vergleich der Übersichtskarte (von oben) mit dem Raum Sächsische Schweiz. Wir stellen in gleichem Maßstab gegenüber:

National Park Cuyahoga
Kreis mit 20 km Radius um Cuyahoga

National Park Cuyahoga Valley
Kreis mit 20 km Radius um Sächsische Schweiz

Ist das, verglichen mit Cleveland nicht ein Traum? Wenn die Leute aus Cleveland mal zu uns in die Sächsische Schweiz kommen, die werden sich hier doch da glatt fast so weit draußen in der Natur vorkommen, wie im Yellowstone.


Links

Visit the USA – gleichmal hinfahren
Bewertungen
Openstreetmap

Ich bedanke mich herzlich für die Anregung zu dieser Seite bei Axel Mothes, Halle.

21.10.2023 Initial, Seite noch nicht fertig
29.01.2024 Weitergeschrieben
14.02.2024 Fertig

Zum Seitenanfang