Unterwandert der Nationalpark Openstreetmap?

Kartenzensur duch die Hintertür?

Einspruch Euer Ehren

Beim Lesen des Protokolls des OSM-Stammtischs Dresden vom 07.11.2024 leuchten in meinem Kleinhirn ein paar Alarmlampen auf. Es sieht so aus, als ob sich die Nationalparkverwaltung an der Diskussion beteiligt. Grundsätzlich ist zu begrüßen, wenn sich öffentlich-rechtliche Verwaltungen fachlich in Debatten einbringen. Allerdings wirkt die Nationalparkverwaltung weder mit einem neutralem Standpunkt, noch ergebnisoffen. Sie gibt vielmehr Hinweise, die erkennbar das Ziel haben, ganz viele Wege aus der Openstreetmap verschwinden zu lassen. Dabei wird auch der Anschein erweckt, dass es hier einen Konsens unter den Wanderern und in der OSM-Community geben würde, was ebenfalls hinterfragbar ist.

Ich kann mich irren. Auch kann eine Besucherlenkung in einem Nationalpark durchaus sinnvoll sein. Dafür sollte man uns Wanderer aber als Akteure auf Augenhöhe ansehen. Wenn Besucherlenkung darauf aufbaut, Besucher grundsätzlich als schädlich anzusehen, ihnen zu misstrauen und Wege aus den Karten, die sie benutzen, zu tilgen – ich weiß nicht. Schlagen wir da also einmal etwas genauer nach.

Anmerkung: Die Nationalparkverwaltung ist dem Sächsischen Umweltministerium (SMEKUL) unterstellt und führt dessen Weisungen aus.

Achtung, viel Text.


 

OSM-Seite Nationalpark Sächsische Schweiz

URL: https://wiki.openstreetmap.org/wiki/Nationalpark_S%C3%A4chsische_Schweiz

In der Versionsgeschichte der Seite ist erkennbar, dass sie weitgehend von der Nationalparkverwaltung verfasst wurde.

Meine Kommentierung:

„Dies beinhaltet auch viele Wege, die schon seit den 1990er Jahren zum Zweck der Gebietsberuhigung und Prozessschutz nicht mehr betreten werden dürfen und stillgelegt wurden.“

„Nicht mehr betreten und stillgelegt“ – das soll doch nichts anders heißen, als gesperrt und verboten. Doch eine offizielle Sperrung hat es niemals gegeben.

In den 1990er Jahren waren Wegsperrungen eigentlich noch kein Thema. Damit ging es erst Ende 1998 los. 2003 erfolgte die „Umkehr der Wegesperr-Ausschilderungslast“, die aber auch noch keinerlei Wegsperrungen verfügt hat. Für eine Sperrung wäre ein Votum der Wegekommission erforderlich gewesen. Ganz genau steht das im Wegekonsens-Papier aus dem Jahr 2000. Lediglich für 9 Wege (Försterloch ff.) hat die Wegekommission einen ausdrücklichen Sperrbeschluss als schmerzlichen Kompromiss verfügt, der von der Wander-Community weitgehend mitgetragen worden ist. Eine Sperrung in dem Umfang, wie er sich bis heute darstellt (80 bis 90 % aller Kernzonenwege) ist niemals verfügt worden. So etwas wäre wohl auch niemals irgendwie konsensfähig gewesen.

Auch auf der Webseite der Nationalparkverwaltung ist erstaunlicherweise von Wegesperrungen bis heute niemals die Rede. Dort werden lediglich erlaubte Wege aufgeführt. Dass alle anderen Wege verboten sind, das muss sich der Wanderer per Umkehrschluss schon von alleine erschliessen – eben besagte 80 bis 90 % Kernzonenwege.

„In einem Nationalpark, wo nur Wege, die zum offiziellen und intensiv mit Wander- und Bergsportverbänden abgestimmten Wegenetz gehören, begangen werden dürfen ... “

„Intensiv mit Wander- und Bergsportverbänden abgestimmtes Wegenetz“: Da denkst du doch glatt, da haben Hunderte von Diskussionen in Dutzenden Vereinen stattgefunden. Und am Ende sollen sich die Wanderer nichts sehnlicher gewünscht haben, als dass die Nationalparkverwaltung ihnen endlich die vielen kleinen Wege verbieten möge? Da kann man schon sehen, wie unglaubhaft sowas ist. Einzig zwei Vertreter des Sächsischen Bergsteigerbundes (SBB) vertreten uns Wanderer in der Wegekommission. Und die tagt lediglich zweimal pro Jahr und dazu noch nichtöffentlich. Und zugestimmt haben die einer Sperrung von 80 bis 90 % der Kernzonenwege gewiss auch nicht.

„Denn die Begehung der gesperrten Wege gilt als Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 10.000 Euro geahndet werden kann.“

10.000 Euro, ist das nicht ein bisschen starker Tobak für Wandern im Wald? Nun, es soll wohl der Abschreckung dienen, damit du von vornherein ein ganz schlimmes Gefühl hast, wenn du mal in der Natur sein willst: Bloß nicht rausgehen, es könnte dich ruinieren.

„Daher ist es nun (2020) an der Zeit, stillgelegte Wege entsprechend zu taggen.“

Das „nun ist es an der Zeit“ könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Nationalparkverwaltung ihr Ziel, die Wege zu sperren, keinesfalls aufgegeben hat. „Entsprechend zu taggen“ heißt freilich im Klartext, weglassen. Weil Sperrungen in dem angestrebten Maß allerdings kaum konsensfähig sind, hat die Nationalparkverwaltung auf „Salamitaktik“ umgestellt. Will heißen, das Ziel wird in ganz kleinen Schritten, zugleich aber langfristig, dauerhaft und unaufhaltsam verfolgt. Man vertraut auf die Vergesslichkeit der Wanderer. Das seit Jahrzehnten:

Salamitaktik heißt, dass die Begehungsrechts-Wegfertigung Stück für Stück erfolgt. Jede heruntergeschnittene Scheibe für sich fällt kaum auf. Wenn aber niemand aufpasst und dagegenhält, wird irgendwann auch der letzte Wurstzipfel der „Salamiwurst“ Wegenetz verfrühstückt sein. Kyrie eleison.

„Nach Diskussionen zwischen vielfältigen Mitgliedern der OSM-Community in Online-Foren und beim Dresdner OSM-Stammtisch wurde sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass in der Kernzone für alle ehemaligen Wege, die heute nicht-markiert sind (und für die damit ein Betretungsverbot gilt) mit [×××] getaggt werden sollen.“

Das erinnert mich ein wenig an das oben vorgeblich „intensiv mit Wander- und Bergsportverbänden abgestimmtes Wegenetz“. Nur dass hier die OSM-Community der Legitimitätsbeschaffer ist. Hat da wirklich niemand von der Nationalparkverwaltung bei der Meinungsbildung nachgeholfen?

Dass deren Meinung nicht immmer ganz richtig ist, lässt sich gut am Beispiel Grenzweg nachvollziehen. Dort maßregeln Ranger regelmäßig Wanderer wegen vermeintlicher Ordnungswidrigkeiten. Allerdings zu Unrecht. Der Sächsische Bergsteigerbund (SBB) hat in der Wegekommission einer Sperrung des Grenzweges wiedersprochen und diese damit verhindert. Siehe 24. und 25. Sitzung der Wegekommisson (2010), wo der Grenzweg als „offene Frage“ eingestuft wurde. Und der seinerzeitige 2. Vorsitzende des SBB, Lothar Hempel war bereits 2001 gegen einen Bußgeldbescheid wegen Wanderns auf dem Grenzweg vorgegangen und hatte gerichtlich Erfolg (Az RP Dresden 65-8842.20-OWI-Hempel vom 06.11.2001).

Nur kümmert das die Nationalparkverwaltung wenig. Mittlerweile sind da auch einige Kollegenwechsel erfolgt, so dass ich nicht einmal unterstellen möchte, dass das Absicht ist, wohl auch Unkenntnis der Rechtslage seitens der neu eingestellten Mitarbeiter.


 

OSM-Seite Stammtisch Dresden

URL: https://wiki.openstreetmap.org/wiki/Stammtisch_Dresden, 07.11.2024

Meine Kommentierung:

„Pflanzen können nur wachsen, wenn niemand drauf tritt ...“
„Tiere ziehen sich zurück oder verschwinden ganz, wenn besonders geschützte Bereiche betreten werden ... “

Ein bekanntes Nationalpark-Argument, doch stimmt das auch? Auf einem bestimmten Standort bezogen, lokal, möglicherweise. Es ist aber darüber hinaus eine Argumentationslinie, die von der Nationalparkverwaltung für die Sächsische Schweiz pauschal und flächendeckend vorgebracht wird, um dem Wanderer ein schlechtes Gewissen zu machen und großflächige Aussperrungen des Menschen aus der Natur zu begründen. Bezogen auf die Gesamtlandschaft stimmt das Argument kaum. Es unterschlägt auch das überwiegend völlig naturschutzkonforme Verhalten der Mehrheit aller Wanderer.

Was könnte der Grund für das Argument sein? Zu belegen dass ...

„ ... das Wegenetz zu kleinteilig ist“?

Es ist ein alter Plan der Nationalparkverwaltung, das Wegenetz „auszudünnen“ (siehe oben), was hier recht euphemistisch formuliert wird. Man könnte es auch bewusste Inkaufnahme von Wegenetzuntergang oder Wegenetzzerstörung nennen. Ob das Wegenetz tatsächlich „zu kleinteilig ist“, ist hinterfragbar. Übrigens gibt es da selbst innerhalb der Nationalparkverwaltung unterschiedliche Auffassungen.

„ ... und wie es in anderen Regionen (z. B. Nationalparks) gehandhabt wird.“

„Wie es zum Beispiel in anderen Nationalparks gehandhabt wird“ – fürchterlich aufpassen. Wir alle neigen dazu, uns sog. „wirkliche Natur-Nationalparks“ zum Vorbild zu nehmen, Typ „Yellowstone“ etwa oder Nationalparks in Kanada*). Gewiss haben wir alle eine riesengroße Sehnsucht nach diesen unendlichen Weiten. Nur, die Wegenetzdichte von Kanada schematisch auf unsere Wanderlandschaft übertragen? Kanada hat eine Bevölkerungsdichte von 4 Einwohnern/km², da gibt es nur alle 100 Kilometer einen Treck noch Trail. Dass uns sowas irgendwie als Vorbild dienen könnte – ich weiß nicht, ob das funktioniert*). Was bei solcherart Fehlübertragungen auf den Nationalpark Schwarzwald rauskommt, siehe hier, auf den Nationalpark Harz siehe hier. Bitte nicht.

„Fokussierung auf wichtige Aussichtspunkte, z.B. ausgeschilderte Aussichten, auf bekannten Gemälden dargestellte Aussichten.“

Wieder partiell richtig aber eben nur – partiell. Man ist gewohnt, zwischen den Zeilen zu lesen und argwöhnt gleich wieder, dass es doch in Richtung Aussichtssperrung gehen könnte.

„Unpassendes Verhalten wie Lagerfeuer und zurückgelassener Müll sorgen für regelmäßige Diskussionen, wie Boofen kartiert werden sollen.“

Sehr geschickt formuliert. Der flüchtige Leser liest: Boofer verhalten sich unpassend, lassen Müll zurück, machen Lagerfeuer und sind infolgedessen zu bashen. Das Gegenteil ist richtig. Der überwiegende Teil der Boofer legt äußerst großen Wert darauf, sich entsprechend den Riten von Miloslav Nevrlý zu verhalten. (Wobei – Tramps und kein Lagerfeuer – sowas wäre früher völlig undenkbar gewesen.)

Ob man freilich Boofen in OSM darstellen muss? Gewiss, das hat sich so nun einmal etabliert. Es kann aber auch geschickt sein, Boofen in Karten überhaupt nicht darzustellen. Früher, im Printkartenzeitalter hat das so ganz gut funktioniert. Und kein Boofer hat sich darüber aufgeregt, im Gegenteil, man hat eine Boofe eben nur durch eigene Ortskenntnis finden können und die konnte man nur durch jahrelanges Draußensein in der Landschaft erwerben. Letztendlich muss das aber jeder Kartenredakteur für sich entscheiden.

„Wenn zu viele Menschen auf unpassenden Wegen unterwegs sind, dann hat dies negative Nebenwirkungen.“

Wieder so ein eingängiges Scheinargument, geeignet den Wanderer in die Enge zu treiben. Was sollen wir armen Menschen denn machen, wenn wir „zu viele“ sind? Rückstandslos verdampfen? Widerspricht auch bissl den Gesetzen der Physik. Wenn ich schon weiß, dass der Druck im Kessel zu groß ist, ist es doch geradezu das Dööfste, dann auch noch zusätzlich das Volumen zu verringern. Wenn ich die Menschen von „unpassenden“ Wegen wegbashe, dann steigen doch die „negativen Nebenwirkungen“ auf den verbleibenden „passenden“ Wegen nur umso stärker an. „Mögen die doch einfach irgendwoanders rumwandern“ funktioniert auch nicht, dann verursachen die „zu vielen Menschen“ nur woanders ihre „negativen Nebenwirkungen“.

Andersherum. Das Wegenetz ist uns Wanderern ein wertvoller Goldschatz und wer einen Schatz besitzt, behütet den und schmeißt ihn nicht als angeblich „unpassend“ weg. Gerade die kleinen Kupfermünzen unter den Wegen sind oft sogar besonders wertvoll.


 

Damit bin ich am Ende meiner Durchsicht.

Vielleicht liege ich falsch und die Nationalparkverwaltung hat überhaupt nicht die Absicht, irgendwie abgetarnt eine Kartenzensur in Openstreetmap zu etablieren, es würde mich freuen.

Denn ist es nicht töricht, Menschen, die sich an der Natur erfreuen wollen, aus der Natur auszusperren? Technisch kriegst du sowas im Digitalzeitalter sowieso nur schwer hin, viel Glück bei dem Kampf gegen Windmühlen. Naturschutz geht (wie auch Wikipedia und Openstreetmap) nur mit Vertrauen und mit und für den Menschen. Jeder Mensch, der in der Natur ist und sich an ihr erfreut und sie so schätzen und achten und verstehen lernt, ist ein Gewinn. Wir sind doch keine Schädiger, die man bashen, ausgrenzen, anprangern und mit Karten mit rauszensierten Wegen übervorteilen und bevormunden muss.

 

Eines muss man aber der Nationalparkverwaltung lassen. Einen geschickten Texter haben die. Kompliment.


 

*) 02.12.2024: Gerade einmal Banff-Nationalpark in der Wikipedia nachgeschlagen. Der Stil kommt mir irgendwie bekannt vor: Es ist von jährlich 4 Millionen Touristen die Rede, die der Park „verkraften“ müsse, auch hier gibt es einen „Konflikt zwischen Massentourismus und Naturschutz“. Die Besucherzahlen von Banff und Sächsicher Schweiz stimmen ja ungefähr überein, nur ist der Banff-Nationalpark ungefähr 200×300 Kilometer groß – das ist etwa 1/3. so groß, wie Sachsen, 70mal größer, als unser Nationalpark. Und auch da noch wird ein „zunehmender touristischen Nutzungsdruck“ festgestellt und es müssen „Touristen zu hohen Geldbußen“ verurteilt werden, weil sie den Lebensraum seltener Tierarten beinträchtigt haben.

 

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27.11.2024 Initial.
28.11.2024 Noch paar Tippfehler drin.
30.11.2024
02.11.2024 Wikipedia: Banff ergänzt.

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