300 Jahre war die Balzhütte eine Idylle in der Waldeinsamkeit
Das Balzhütten-Wandermädchen 2020
Als wir in den 1970er/80er Jahren fast jedes Wochenende in unseren Bergen draußen waren,
gab es da eine Legende.
Dass es da weit hinter dem Zeughaus, hinter dem Ende der Welt
noch ein Hinterland geben sollte –
ungleich abgelegener als Partschenhörner, Thorwalder Wände, Raumberg oder Altarstein.
Inmitten undurchdringlicher Felslabyrinthe und riesiger Wälder soll es da ein
sagenumwobenes Wirtshaus geben: Die Balzhütte. Nur zu Fuß erreichbar und die
nächsten Grenzübergänge waren weit entfernt (Schmilka und Varnsdorf).
Daher konnte man diese Einöde kaum anders erreichen, als mit
tagelangen Fußmärschen, zu denen auch Freinächte gehörten.
Alte Meinholdkarten von vor dem Krieg verhießen den Ort, auch in der DDR/Kartografie-Praha-Karte
fand er sich (freilich in 1:50000 nur schwach angedeutet).
Die Wirtin war der Überlieferung zufolge „die Leipzigerin“, die die Wirren der Zeit
in dem Land irgendwie überdauert hatte. Gelegentlich werde ausgeschenkt, tschechisches Bier,
man solle ein paar Schwarzkronen mitnehmen.
Eine andere sich um die Balzhütte rankende Abenteuergeschichte war die mit dem
Queren der grünen Grenze. Vor Staatsgrenzen hatte man damals – war ja so eine Sache in der DDR
– einen gewissen Respekt. In Hinterdittersbach fuhren zumindest gelegentlich
tschechische Grenzer Streife. Konnte sein, man wurde erwischt und das hieß dann
drei Tage Kartoffen schälen, ehe man wieder frei kam. Man musste also vorsichtig sein.
Von den Thorwalder Wänden leuchtete fern das Hohe Gewände. Da irgendwo musste es sein.
In der neuen Zeit war dann die Balzhütte ein wunderschönes Wirtshaus geworden,
und es war eine Freude, dort „ganz normal“ einzukehren und zu übernachten.
Radek und Pauline bewahrten als freundliche Wirtsleute die uralte
Romantik des Hauses. Und nach jahrelangem Kartieren und Zeichnen hatte ich letztes Jahr dann
die „Balzhütte“ als Kartentitel 1:10000 herausgebracht.
Gerade noch rechtzeitig: Am 22.05.2020 ist das große Unglück geschehen.
Zwei der Hauptgebäude der Balzhütte sind abgebrannt. Eine eventuelle
Wiedererrichtung ist mehr als ungewiss. Irgendwann wird die Erinnerung an die alte
Balzhütte erblassen. Darum hier einige Bilder, die ich freundlicherweise von Jörg Tusch
erhalten habe – zwei Tage nach dem Feuer.
Das Gasthaus (Bild vom 18.10.2015):
Die Gaststube (Bild vom 15.07.2007):
In den Jahren 2015-17 habe ich das Balzhüttenland im Maßstab 1:10000
aufgenommen und dabei Quartier in der Balzhütte genommen.
Abends saß ich oft im Gastraum
und habe in meinen Feldbüchern (die liegen da vor mir auf dem Tisch) nachkartiert und reingezeichnet.
Bild vom 15.10.2015.
Das Bier hat Pauline an diesem Tresen gezapft (Bild vom 15.07.2007):
Im November war das Gasthaus dann schon geschlossen.
Man konnte sich jedoch die Schlüssel bei Radek ausleihen. Einige Spätherbstwochen
hatte die Balzhütte dann nur zwei Gäste – Dietmar Katschner und mich.
Wir kamen uns vor wie Kinskysche Jagdknechte vor 300 Jahren. Später bin ich
dann ganz allein dort draußen geblieben.
Eine unvergessliche Zeit.
So ungefähr stellt man sich Jagdschloss Kinsky vor. Der schöne obere Flur
in dem Pensionsgebäude, in welchem ich Quartier genommen hatte. Bild vom 21.04.2017:
Wandteppich mit Hirschen:
Die Geschichte der Balzhütte, verfasst von Jaroslav Polák. Interesant ist, dass das Bild das alte
Gebäude von vor 1905 zeigt:
Und so sah alles bis zum 22.05.2020 aus (Bild vom 21.04.2017):
In der Mitte das Pensionsgebäude, rechts davor
das Gasthaus.
Am 22.05.2020 sind die beiden Gebäude Pensionsgebäude und Gasthaus vollständig abgebrannt. Ein Förster hat in den
frühen Morgenstunden den Brand entdeckt, 60 Feuerwehrleute waren im Einsatz, und es gelang das Feuer zu löschen,
ohne dass es auf den zu der Zeit sehr trockenen Wald übergegriffen hat.
Wir hatten damals gerade die Coronazeit, die Grenzen waren geschlossen, es war einen Tag nach Christi Himmelfahrt.
Das Gebäude links hat (wohl) den Brand überstanden.
Ein herzliches Dankeschön für die Bilder geht an Jörg Tusch.
In der Balzhütte lag eine großmaßstäbige Umgebungsskizze
als Fotokopie aus. Diese hatte, wie ich später erfuhr, Volker Mothes
gezeichnet. Die Skizze war mir Anlass die Umgebung der Balzhütte im
Maßstab 1:2000 zu kartieren. Die Karte diente mir dann als Vorlage bei der Reinzeichnung
meiner Karte Balzhütte 1:10000.
Doch das Wichtigste an einem Gasthaus ist eigentlich ...
Ein Bier in der Balzhütte – ein Lobkowicz oder ein Pilsner Urquell –
was für ein fantastischer Lohn nach drei langen Tagesmärschen durch einsame Natur.
Es war einmal.
Ach – kein Requiem. Es wird auch wieder einmal sein. Seinen wir getrost und unverzagt. Solange
es uns Menschen immer wieder hinauszieht, in die Einsamkeit, solange wird es auch
immer wieder Wirtshäuser geben, die dort draußen in der Einsamkeit –
auf uns warten werden. Gewiss doch.
Nachtrag: Seit Freitag, dem 05.06.2020 abends ist die Grenze (die wegen Corona seit dem 15.03.2020
geschlossen war) wieder offen. Am 09.06. kommt von wanderbärin die Nachricht, dass das Wirtshaus in der „hinteren Balzhütte“ (Hegerhaus)
wieder geöffnet ist. War für ein schöner Trost bei aller Trauer.
25.05.2020 Initial.
Nähere Umgebung der Balzhütte 1:2000
(Auflösung 300 dpi, dies ergibt dann Format DIN A3).
27.05.2020 Von Jörg Tusch die Bilder der Speisen- und Getränkekarten erhalten.
10.06.2020 Gasthaus im sog. Hegerhaus hat wieder geöffnet.